Die meisten Ruhrgebietler kennen die Jahrhunderthalle als Festspielhaus. Hier ist die Stätte für die ganz großen Events. Aber kaum einer weiß über ihre Vergangenheit. Welche Funktion hatte sie? Wie sah es drinnen eigentlich damals aus?
Dieser Aufgabe haben wir uns gestellt und begaben uns auf Spurensuche. Nach umfangreichen Recherchen, Stöbern in Archiven, und Befragungen rekonstruierten wir die Großgasmaschinen und Generatoren und erweckten sie zum Leben. Ebenso wurde die filigrane Stahlkonstruktion nach alten Plänen im Computer nachgebaut.
Das Ergebnis wurde in einen Film gegossen, der in anschaulicher Weise die Entwicklung dieser Halle von ihrem ersten Standort in Düsseldorf, den Wiederaufbau in Bochum, den zahlreichen Um- und Anbauten und ihre Funktion innerhalb des Stahlwerks bis zur heutigen Funktion vermittelt.
Die Jahrhunderthalle Bochum, heute ein Industriedenkmal, Festspielhaus und ein Symbol für den gelungenen Transformationsprozess.
Der Film ist im neu entstandenen Besucherzentrum neben der Jahrhunderthalle auf einem großen Bildschirm zu sehen.
Rekonstruktion der Gaskraftzentrale mit ihren Großgasmaschinen und Generatoren
Der Bochumer Verein und die Jahrhunderthalle
Genese eines Stahlkonzerns
Als 1842 Jacob Mayer und Eduard Kühne auf dem Felde vor der Ackerbürgerstadt Bochum eine Gußstahlfabrik gründeten, ahnten sie wohl nicht, welch enorme Entwicklung dieses Werk nehmen würde. Damals hatte Bochum ca. 4000 Einwohner. 1873 beschäftigte die 'Gußstahlfabrik Mayer-Kühne' bereits 4700 Arbeiter. Als 'Bochumer Verein' wurde das Werk kontinuerlich ausgebaut. 1965 arbeiteten dort 20.000 Menschen, mehr als 10.000 davon am Standort Alleestraße, der hier vorgestellt wird. 1986 wurde bedingt durch die Stahlkrise nach langjähriger Reduktion das Werk endgültig geschlossen.
Auf dem östlichen Bereich des Areals wird noch heute Stahl produziert, u.a. die Räder für den ICE. Auf dem westlichen Teil entstand der 'Westpark Bochum' mit der Jahrhunderthalle als neuer kultureller Mittelpunkt Bochums und Ankerpunkt der 'Route der Industriekultur'.
Das Projekt
In Zusammenarbeit mit der Bochumer Veranstaltungs-GmbH, der Hochschule Bochum und mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW wurde die Geschichte des Bochumer Vereins mit Schwerpunkt Jahrhunderthalle visuell aufgearbeitet. Mit Hilfe umfangreicher 3D-Rekonstruktionen wird dem Betrachter 150 Jahre Stahlgeschichte in Bochum veranschaulicht. Gestartet wurde im Herbst 2008. Ziel war die Präsentation in der Jahrhunderthalle zum Kulturhauptstadt-Jahr 2010.
Rekonstruiert und dargestellt wird die Genese des Standortes Alleestraße des Bochumer Vereins einschließlich der angrenzenden Areale wie die Schlackenhalde im Nordwesten, die Arbeitersiedlung Stahlhausen im Südwesten und das Kosthaus im Süden. Die nicht zum Bochumer Verein gehörenden Flächen sind zur deutlichen Abrenzung ausgegraut.
Chronik
Phase 1
Gründungszeit
1842
Gründung der Gußstahlfabrik „Mayer und Kühne“. Zur Standortwahl: „Der gewählte Standort hat zwar den Nachteil ungünstiger Transportwege, doch entscheidet man sich aufgrund der bedeutenden Vorkommen hochwertiger Steinkohle und des ebenfalls ortsansässigen Bergamtes dennoch für Bochum.“
1844
Aufnahme der Gussstahlherstellung
1854
Gründung der Aktiengesellschaft 'Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation'
1857
Inbetriebnahme eines Puddel- und Caliberwalzwerks
1857
Bau des Kosthauses (Arbeiterkaserne)
1857 – 1859
Schwere Hämmer, Bandagenwalzwerk 1, Radsatz- und Achsendreherei, erste Gasbeleuchtung
1860
Beginn des Baus der Arbeitersiedlung Stahlhausen, die Bergisch-Märkische Eisenbahn erreicht von Witten aus Bochum
1862
Als Zechenbahn betriebene Linie Bochum – Riemke(Herne) geht in Betrieb
1864
Die ersten 34 Wohnhäuser von Stahlhausen (zweitälteste Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet) sind fertig.
1865
Inbetriebnahme eines Bessemer-Stahlwerks und Schienenwalzwerks
1867
Bahnanschluß der Zechenbahn an die Linie der Bergisch-Märkischen
1873/74
Beginn des Baus des 1. Hochofens und des Siemens-Martin-Stahlwerks 1, Inbetriebnahme des Gebläsehauses („hoher schlanker Bau für 2 stehende Dampfgebläsemaschinen“) für die ersten beiden Hochöfen
1874
Inbetriebnahme des 1. Siemens-Martin-Stahlwerks, Anschluß an die Linie der Rheinischen Eisenbahn
Phase 2
Beginn der eigenen Verhüttung
1876
Inbetriebnahme des 1. Hochofens, kurz später des 2. Hochofens
1877
Die Gleise des werkseigenen Bahnnetzes reichen vom eigentlichen Stammgelände bis zu den in Eppendorf und Höntrop liegenden Bergwerken Maria, Anna und Steinbank III und IV
1880
Bau eines Radscheibenwalzwerks, erste elektrische Werkstatt
1882
Inbetriebnahme des 3. Hochofens
1888
Einrichtung einer Lehrwerkstatt
1890
Inbetriebnahme des 4. Hochofens
1890
Zeche Hasenwinkel (Dahlhausen) wird angeworben. Betriebseigene Kokereien entstehen.
Phase 3
Einführung der Elektrizität, Bau der Jahrhunderthalle
1895
Dampfkraftzentrale: Gebäude für 2 Dampfdynamomaschinen nördlich des Gebläsehauses (heute Nordhälfte des Maschinenhauses (Turbinenzentrale). Hier war die Zentrale für Startkstromerzeugung. Durchbruch der Elektrifizierung des Bochumer Vereins.
1897/98
Vergrößerung der Dampfkraftzentrale für 3 weitere Dampfdynamomaschinen
1903
Umzug der Jahrhunderthalle von Düsseldorf zum heutigen Standort. Nutzung als Gaskraftzentrale, Großgasmaschinen ergänzen die Dampfkraftzentrale bei der Stromerzeugung, Gasgebläsemaschinen ersetzen die Dampfgebläsemaschinen bei der Winderzeugung
1909
Stilllegung der Dampfkraftzentrale
1909 – 1917
Jahrhunderthalle ist Schwerpunkt der Krafterzeugung des Bochumer Vereins. Danach gewinnen die Dampfturbinen als Weiterentwicklung der Dampfdynamos an Bedeutung. Das Gas kam zunächst als Gichtgas aus den Hochöfen, später auch Koksofengas und Generatorgas aus dem Siemens-Martin-Stahlwerk.
Phase 4
Höhepunkt
1917
Der fünfte Hochofen wird angeblasen.
1911 - 1912
Bau des Colosseums (Klagemauer) zur Sicherung des 16m hohen Plateaus, auf dem gleichzeitig das Martinstahlwerk II entsteht.
1921
Beginn der Elektrifizierung des Werksbahnnetzes, bis 1939 ca. 90km.
1939
Bochumer Verein auf dem Höhepunkt seiner ökonomischen Macht, größter Arbeitgeber in Bochum mit beherrschendem kommunalpolitschem Einfluß
Phase 5
Krieg und Nachkriegszeit
1944
Vernichtender Bombenangriff auf das Werk: Hochöfen, Stahlwerke und gesamte Weiterverarbeitung kommen fast vollständig zum Erliegen
1947
Demontagebefehl
1956
Inbetriebnahme der 6000t Presse
1962 – 1963
Errichtung der Gesenkschmiede 2
Phase 6
Reduktion
1965
Bochumer Verein wird zur „Fried. Krupp Hüttenwerke AG“, Einstellung der Produktion von Glocken, Beginn des sukzessiven Abbaus
1968
Stilllegung der letzten Hochöfen, Abbruch der Maschinen in der Jahrhunderthalle, die Halle wird jetzt als Schlosserei, später als Hauptlager genutzt.
1980
Neubau einer Stranggießanlage
1981
Neubau eines Präzisionswalzwerkes für Reifen und Ringe
1983
Abriss sämtlicher Aufbauten auf dem Plateau
1985
Weitgehende Produktionseinstellung
1988
34,5ha des 70ha großen Geländes werden an den Grundstücks-Fond NRW verkauft.
Heute werden auf dem östlichen Areal unter dem Namen 'Bochumer Verein Verkehrstechnik GmbH' weiterhin Radreifen für Eisenbahnen, u.a. für den ICE hergestellt.